I. Einführung
2008 wurde das Rechtssystem von Hongkong von ausländischen Führungskräften zum besten Rechtssystem in Asien gewählt, was als Gipfel einer 200 Jahre andauernden Entwicklung angesehen werden kann.
Während der Kolonialzeit wurden von Großbritannien in Hongkong das Rechtssystem des Common Law sowie der entsprechende Gerichtsaufbau eingeführt. Dies bildet den Grundstein für das im Vergleich zu anderen asiatischen Ländern moderne und verlässliche Rechtssystem. Gleichzeitig konnte sich dadurch die ehemals kleine und unbedeutende Insel im südchinesischen Meer zu einer der führenden Finanzmetropolen der Welt entwickeln. Trotz der Rückgabe an China am 01. Juli 1997 behält Hongkong zumindest für die nächsten 50 Jahre seine Unabhängigkeit im Justizwesen.
Nichtsdestotrotz hat Hongkong eines der langsamsten Gerichtsverfahren der modernen Welt. Ferner sind die Kosten für Rechtsberatung und Rechtsvertretung erheblich höher als in anderen Jurisdiktionen und erreichen fast Ausmaße wie in den USA. Weiterhin ist es auch nicht ganz korrekt, das Hongkonger Gerichtssystem als „fair“ zu bezeichnen, da der Gewinner eines Rechtsstreits vom Verlierer nicht die gesamten Kosten ersetzt bekommt. So bekommt der Gewinner selbst im Falle eines vollständigen Obsiegens lediglich 60 % – 75 % der Kosten erstattet. Damit besteht die Möglichkeit, dass der finanziell stärkere den finanziell schwächeren allein aufgrund von Geldmangel ausbooten kann und schließlich (eventuell nach mehreren Instanzen) den Streit gewinnt.
II. Gerichtsaufbau und Verhandlungen in Hongkong
1. Welche Rechte können gerichtlich geltend gemacht werden?
a) Anspruch auf Geldzahlung
Jeder dem ein potenzieller Anspruch auf Geldzahlung gegen einen Schuldner zusteht, kann den Anspruch vor dem zuständigen Gericht geltend machen und einklagen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, die Liquidation des Schuldners zu betreiben oder den Anspruch über außergerichtliche Streitbeilegungsmethoden durchzusetzen.
b) Auskunftsanspruch
Unter Umständen benötigt der Kläger vor der Einreichung der Klage weitere Informationen von dem Beklagten oder einer dritten Person, um seinen Anspruch genau zu betiteln oder so genau zu beziffern, dass die Klage vor Gericht anhängig gemacht werden kann ohne Gefahr zu laufen, als unsubstantiiert abgewiesen zu werden.
Das Hongkonger Zivilprozessrecht kennt an sich keinen solchen Auskunftsanspruch. Allerdings gibt es im Wege der Beweisaufnahme die Möglichkeit, von der anderen Partei (oder auch von einem Dritten) bestimmte Informationen einzufordern.
(i) Anspruch gegen den Beklagten selbst
Um im Wege der Beweisaufnahme einen Auskunftsanspruch gegen den Beklagten geltend zu machen, muss der Kläger nachweisen, dass
- er zumindest dem Anschein nach einen Anspruch gegen den Beklagten hat,
- die angeforderten Auskünfte später im Verfahren ohnehin eingeholt werden müssten, und
- es nicht unmöglich erscheint, dass die angeforderten Auskünfte die Urteilsfindung erleichtern.
(ii) Anspruch gegen Dritten
Ein Anspruch auf Auskunft kann auch gegen einen Dritten, der am Rechtsstreit eigentlich unbeteiligt ist, durchgesetzt werden, wenn
- der Dritte zwar nicht direkt Partei des Rechtsstreits ist, aber doch so involviert ist, dass er Informationen hat, die für die Klage wichtig sind,
- es nicht völlig abwegig erscheint, dass der Dritte die bezeichneten Informationen tatsächlich besitzt, und
- es gerecht erscheint, diesen Auskunftsanspruch zuzulassen.
Die meisten der aktuell verhandelten Fälle in Bezug auf Auskunftsansprüche vor Hongkonger Gerichten betrafen vor allem Auskünfte in Bezug auf falsche Behauptungen auf Internetseiten. Hierzu mussten die Kläger darlegen, dass Ihnen zumindest dem ersten Anschein nach (prima facie) ein Anspruch gegen den Beklagten zusteht und sie mussten darlegen, dass die Information, die sie von den Betreibern der Internetseite benötigten (meistens die wahre Identität des Beklagten), unabdingbar für die Geltendmachung ihres Hauptanspruches (Löschung, Änderung der Eintragung, aber auch Schadensersatz) ist (z.B.: Cinepoly Records Company limited &others vs. Hong Kong Broadband Network Limited & Others [2006] 1 HKLRD 255).
Dabei gilt es jedoch zu beachten, dass sich ein solcher Auskunftsanspruch nicht direkt aus dem Zivilprozessrecht ergibt, sondern es sich dabei um Richterrecht handelt, dass sich in der Vergangenheit aus älteren Urteilen gebildet hat. Demgemäß steht es im jeweiligen Ermessen des Richters, ob er dem geltend gemachten Anspruch stattgibt. Weiterhin ist zu beachten, dass vor allem Auskunftsansprüche gegen Dritte recht kostenintensiv sein können. So wird das erkennende Gericht regelmäßig eine Sicherheitsleistung des Klägers fordern, die zumindest so hoch ist, dass sie sowohl die wahrscheinlichen Kosten der dritten Partei zur Erlangung der Auskunft, als auch etwaige weitere Auslagen deckt.
c) Unterlassungsanspruch
Weiterhin kann vor Gericht geltend gemacht werden, dass jemand eine bestimmte Handlung vornimmt oder eine bestimmte Handlung unterlässt.
Hierfür kann ein Gericht auch einstweilige Verfügungen anordnen, zum Beispiel kann angeordnet werden, dass es jemandem verboten wird, eine Immobilie oder anderes Eigentum zu veräußern, bis die endgültige Eigentumslage festgestellt wurde.
Als weiterer Anspruch kann die Herstellung eines bestimmten Zustandes angeordnet werden. Dies ist vor allem bei Kaufverträgen der Fall, wenn die verkaufte Sache einen Mangel hat. Im Gegensatz zu kontinentaleuropäischem Recht ist der Primäranspruch des Käufers in solchen Fällen ein Schadensersatzanspruch. Dies hat den Hintergrund, dass im Common Law die Übereignung einer mangelhaften Sache eine so schwere Pflichtverletzung darstellt, dass dem Käufer nicht zugemutet werden kann an dem Vertrag festzuhalten. Der Verkäufer macht sich folglich, ohne ein Recht zur zweiten Andienung, schadensersatzpflichtig. Demgegenüber steht bspw. dem Käufer in Deutschland zunächst das Recht auf Nachbesserung bzw. Nachlieferung zu, sodass erst nach dem zweiten Andienungsversuch und bei Verschulden des Verkäufers eine Schadensersatzpflicht entstehen kann (sog. großer oder kleiner Schadensersatz).
In Hongkong hingegen werden Nachbesserung bzw. Nachlieferung nur angeordnet, wenn eine finanzielle Entschädigung des Klägers nicht ausreichend ist, wenn er also z.B. beim Stückkauf ein sehr hohes Interesse an dem Erwerb eines bestimmten Gutes hat.
2. Ablauf eines Gerichtsverfahrens
Ein Gerichtsverfahren läuft in folgenden Schritten ab:
a) Anwaltsschreiben
Für die Einleitung eines Gerichtsverfahrens ist es in Hongkong nicht notwendig, dem Schuldner ein formales Anwaltsschreiben zukommen zu lassen. Dennoch empfiehlt sich dies als eine Art „letzte Warnung“, um doch noch zu versuchen, ein Gerichtsverfahren zu vermeiden und eine schnelle und kostengünstige Einigung zu erreichen.
b) Klage
Soll kein Anwaltsschreiben verfasst werden, oder ist dies ohne Erfolg geblieben, so ist Klage vor dem zuständigen Gericht zu erheben.
c) Vertretung vor Gericht
(i) Grundsatz
Anders als in Deutschland besteht vor allen Hongkonger Gerichten kein Anwaltszwang. In Hongkong können sich sowohl in Zivilrechtsstreitigkeiten als auch in strafrechtlichen Verfahren die Parteien bzw. die Angeklagten selbst vertreten. Neben dem Recht der Selbstvertretung kann eine Partei ähnlich wie in Deutschland Prozesskostenhilfe beantragen.
(ii) Solicitors/ Barristers
Wie in Großbritannien ist die Rechtsanwaltschaft in Hongkong in zwei große Gruppen getrennt: Solicitors und Barristers. Beide Gruppen haben unterschiedliche gesetzliche Grundlagen und Regelungen und sind auch in unterschiedlichen Vereinigungen organisiert. Die Hauptunterschiede sind:
- Solicitors können nur in Gerichten unterhalb des High Courts auftreten, während Barrister vor allen Gerichten auftreten können.
- Solicitors verkehren mit dem jeweiligen Mandanten, wohingegen Barrister sich auf die Vertretung vor Gericht, das Verfassen von Schriftsätzen und die Argumentation im Gerichtssaal spezialisieren.
- Der Solicitor wird vom Mandanten beauftragt, wohingegen die Barristers durch den Solicitor und nicht durch den Mandanten beauftragt werden.
- Der Barrister stellt seine Leistungen dem Solicitor in Rechnung. Dieser reicht diese dann an den Mandanten weiter und stellt seine eigenen Leistungen ebenfalls dem Mandanten in Rechnung.
- Solicitors können alleine arbeiten oder sich in Personengesellschaften organisieren, wohingegen die meisten Barrister entweder alleine tätig sind, oder sich in sogenannten „Kammern“ zusammenschließen, um Kosten zu teilen.
Die Aufteilung in zwei verschiedene Berufszweige geht auf das historische England zurück. Das System wurde eingeführt, um vor Gericht mehr Gerechtigkeit zu erreichen, macht heutzutage aber eher wenig Sinn. In den meisten anderen Ländern (Deutschland, USA, Japan, etc.) findet sich eine solche Aufteilung nicht, da sie erhebliche Nachteile hat und kaum Vorteile bringt. Müssen sich zwei unabhängige Rechtsanwälte mit dem gleichen Fall beschäftigen, so fällt offensichtlich auch die doppelte Arbeit an, welche dann in Rechnung gestellt wird. Am Anfang beauftragt der Mandant seinen Solicitor, bespricht mit ihm den Fall und der Solicitor tritt mit der Gegenseite in Kontakt, um den Streit unter Umständen gütlich zu beenden. Ist dies nicht möglich, so reicht der Solicitor Klage ein, stellt diese zu und fertigt weitere Schriftstücke im Zuge des Klageverfahrens. Geht der Fall schlussendlich vor Gericht, so ist ein Barrister zu beauftragen, der sämtliche Unterlagen nochmals durchschaut und sich mit dem Sachverhalt vertraut macht. Anschließend bespricht er den Fall mit dem Solicitor und übernimmt die Vertretung vor Gericht. In Hongkong ist es auch an der Tagesordnung, dass der Barrister zu Gericht vom Solicitor begleitet wird, da dieser sich mit dem Fall unter Umständen besser auskennt. Bedenkt man dabei, dass sowohl der Solicitor dem Mandanten einen Stundensatz von 350 Euro aufwärts, als auch der Barrister einen Stundensatz von regelmäßig über 500 Euro in Rechnung stellen, so kommt man schnell zu dem Ergebnis, dass hier Kosten entstehen, die zumindest zu 40% vermeidbar wären.
d) Antrag auf Liquidation
Schuldet der Beklagte dem Kläger einen Betrag von mindestens 10.000 HKD (ca. 1.000 Euro) kann der Kläger parallel zur Klageerhebung (oder auch nur) die Liquidation des Schuldners beantragen, wenn dieser eine juristische Person ist. Hierzu ist dem Schuldner eine Aufforderung zur Zahlung zuzustellen und wenn dieser der Aufforderung innerhalb von 21 Tagen nicht nachkommt, kann der Gläubiger bei Gericht einen Antrag auf Liquidation stellen. Dies hat den Vorteil, dass mit Stattgabe des Antrags durch das zuständige Gericht Vermögensgegenstände des Schuldners gesichert werden können. Dabei gilt jedoch zu beachten, dass das Vermögen des Schuldners im Rahmen der Liquidation mit den anderen Gläubigern zu teilen ist, so dass der Antragsteller unter Umständen nicht seinen vollen Betrag zurück erhält.
3. Gerichtsaufbau in Hongkong von unten nach oben:
a) Gerichte
Hongkong hat eine ganze Reihe von sogenannten „Tribunals“ eingerichtet, die jeweils auf eine Art von Streitigkeiten spezialisiert sind. So gibt es etwas das „Employment Tribunal“, das sich ausschließlich mit Arbeitsrecht befasst, oder das „Small Claims Tribunal“, das sich mit Streitigkeiten bis zu einem Gegenstandswert von 50.000 HKD (ca. 5.000 Euro) befasst. Die Prozessregeln für diese Tribunale sind nicht so streng wie vor ordentlichen Gerichten, in manchen Fällen ist es sogar verboten, sich durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen.
b) Magistrates‘ Courts
Die Magistrates‘ Courts sind Strafgerichte, die sich mit Vergehen und Verbrechen bis zu einer Höchststrafe von 2 Jahren oder Geldstrafe von bis zu 100.000 HKD (ca. 10.000 Euro) befassen. Liegt die erwartete Strafe darüber, so wird der Fall vor dem District Court oder dem High Court verhandelt.
c) District Courts
Die District Courts sind zuständig für Zivilverfahren mit einem Gegenstandswert von 50.000 HKD bis 1.000.000 HKD (ca. 5.000 – 100.000 Euro). Darüber hinaus hat der District Court für manche Bereiche die ausschließliche Zuständigkeit. In diesem Fall ordnet das Gesetz die Zuständigkeit des Gerichts ausdrücklich an. Dazu gehören unter anderem (nach der Employees’ Compensation Ordinance) alle Ansprüche der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber. Ferner sind die District Courts Berufungsgericht für von den Tribunalen erlassene Urteile.
Sollte der Streitwert nur etwas über der Grenze von 1 Mio. HKD liegen, so ist es möglich, den Streitwert in der Klage zu reduzieren und so die Zuständigkeit des District Courts zu erreichen, da dies niedrigere Kosten verursacht als eine Verhandlung vor dem nächst höheren Gericht.
d) High Court
Unter High Court ist der Court of First Instance und der Court of Appeal zu verstehen.
e) Court of First Instance
Der Court of First Instance ist zuständig für sämtliche Zivil- und Strafsachen, soweit nicht ein niedrigeres Gericht zuständig ist. Weiterhin ist der Court of First Instance Berufungsgericht für Verfahren der niedrigeren Gerichte.
f) Court of Appeal
Der Court of Appeal ist ein reines Berufungsgericht ohne originäre Zuständigkeit. Der Court of Appeal ist Berufungsgericht für vom Court of First Instance erlassene Urteile.
g) Court of Final Appeal
Der Court of Final Appeal ist das höchste Hongkonger Gericht. Revisionen vor diesem Gericht sind zulässig, wenn sie von dem Ausgangsgericht zugelassen worden sind, oder wenn Fragen von öffentlichem Interesse betroffen sind. Die Richter am Court of Final Appeal werden, auf Vorschlag einer unabhängigen Kommission, vom Chief Executive (Hongkongs höchstem Beamten) ernannt. Verhandlungen werden von drei dauerhaften und einem temporär berufenen Richter gehört. Der temporäre Richter muss nicht aus Hongkong stammen, sondern kann aus jedem Land sein, in dem das Common Law gilt.
h) Privy Council
Bis vor der Übergabe an China am 01. Juli 1997 war das höchste Hongkonger Gericht das Privy Council in London. Dies ist nun nicht mehr der Fall, auch wenn das Privy Council für andere Länder des Commonwealth noch immer das höchste Gericht ist. Dennoch bleiben Entscheidungen des Privy Council, die vor der Rückgabe Hongkongs an China ergangen sind, in Hongkong geltendes Recht.
4. Der Ablauf eines Gerichtsverfahrens
a) Vorverfahren
Wie bereits angesprochen, ist das Verfassen eines Anwaltsschreibens oder einer Mahnung nicht nötig, aber empfehlenswert. Daneben können die Parteien auch durch außergerichtliche Vereinbarungen versuchen, ein Gerichtsverfahren zu vermeiden.
b) Einreichung der Klage
Die Klage wird durch die Einreichung eines sogenannten „Writ of Summons“ zum zuständigen Gericht eingeleitet. Das Gericht überprüft dieses Schriftstück, weist dem Fall eine Nummer zu, versieht das Dokument mit einem offiziellen Stempel und gibt es dem Kläger zurück. Dieses Dokument muss der Kläger dann innerhalb von 12 Monaten dem Beklagten zustellen.
Das Writ of Summons ist mit einer Klagebegründung zu versehen (General Indorsement of Claim, oder Statement of Claim).
Zu beachten ist, dass neu eingereichte Klagen zum Gericht grundsätzlich in lokalen Zeitungen veröffentlicht werden, mit dem Hinweis wer die Parteien sind und welcher Klageanspruch in welcher Höhe geltend gemacht wird. Weiterhin ist zu beachten, dass viele Parteien gesetzlich verpflichtet sind, gegen sie eingereichte Klagen Dritten mitzuteilen. Dies sind vor allem Banken, Behörden und Vertragspartner, die ein Interesse daran haben zu erfahren, dass gegen einen ihrer Vertragspartner Klage erhoben wurde. Diese Dritten werden dann den gegen ihren Vertragspartner geltend gemachten Anspruch überprüfen (Höhe, Grund, Erfolgsaussichten) und entsprechend handeln. Dies kann die Kündigung von Darlehen, die Kündigung von Verträgen und die Einstellung von Dienstleistungen zur Folge haben, wenn diese Option im jeweiligen Vertrag vorgesehen wurde. Dadurch kann ein erheblicher Druck auf den Beklagten aufgebaut werden, wodurch viele Beklagte dazu veranlasst werden, eine außergerichtliche Einigung zu erzielen, um weiteren Nachteilen zu entgehen.
c) Antwort des Beklagten
Innerhalb von 14 Tagen nach Zustellung der Klage muss der Beklagte den Erhalt der Klage bei Gericht bestätigen und er muss anzeigen, ob er sich hiergegen verteidigen möchte. Ist dies der Fall, hat er weitere 28 Tage Zeit, dem Kläger seine Klageerwiderung zuzustellen.
Handelt es sich um einen Zahlungsanspruch, kann der Beklagte anstelle einer Klageerwiderung auch einen Vorschlag machen, wie er den Betrag zahlen möchte. Der Kläger hat dann daraufhin 14 Tage Zeit zu antworten.
d) Versäumnisurteil
Versäumt es der Beklagte, den Erhalt der Klage zu bestätigen, oder versäumt es der Beklagte, rechtzeitig seine Klageerwiderung zuzustellen, so kann der Kläger ein Versäumnisurteil beantragen. Ist die Klage auf Zahlung eines bestimmten Betrags gerichtet, kann das Gericht per Versäumnisurteil entscheiden, dass dieser Betrag zu zahlen ist. Handelt es sich um eine Klage auf einen unbestimmten Betrag, so kann der Kläger beantragen, dass das Gericht einen entsprechenden Betrag festsetzt und ein entsprechendes Urteil erlässt.
Ein Versäumnisurteil kann aufgehoben werden, wenn der Kläger einen Verfahrensfehler begangen hat (falsche Zustellung der Klage etc.). In allen andern Fällen wird das Versäumnisurteil nur aufgehoben, wenn der Beklagte echte bzw. hohe Erfolgsaussichten hat.
e) Widerklage
Der Beklagte kann zusammen mit seiner Klageerwiderung auch Widerklage erheben, gegen die der Kläger sich dann verteidigen muss. Tut der Kläger und Widerbeklagte dies nicht, läuft er Gefahr, dass gegen ihn ein Versäumnisurteil ergeht.
Abgesehen davon muss der Kläger auf die Klageerwiderung des Beklagten nicht antworten. Eine Antwort empfiehlt sich hingegen, wenn vom Beklagten substantielle Vorwürfe oder Verteidigungen vorgebracht werden, die der Kläger dann entkräften sollte.
Der gesamte Austausch von Schriftsätzen wird als „Pleadings“ bezeichnet, die grundsätzlich von einem Barrister entworfen werden und dann vom Solicitor unterzeichnet und bei Gericht eingereicht werden.
f) Urteil im Schnellverfahren
Ist der Kläger der Meinung dass der Klageanspruch klar ist und keiner Diskussion bedarf, kann er einen Antrag auf ein Urteil im Schnellverfahren (Summary Judgement) stellen. Folgt der Richter dieser Ansicht, hält er die Klage also für begründet und die Verteidigung für nicht substantiiert, so kann er ein solches Urteil erlassen. Diese Vorgehensweise geht gemeinhin erheblich schneller als eine komplette Gerichtsverhandlung mit der Anhörung von Zeugen, etc.
g) Vorläufiger Zeitplan
Nach Einreichung der Schriftsätze haben beide Seiten einen vorläufigen Zeitplan einzureichen, in dem sie unter anderem die nächsten Schritte mit den geplanten Daten nennen, aber auch schon ihre Zeugen und Gutachter benennen. Es empfiehlt sich, diesen Zeitplan zwischen den Parteien abzustimmen, bevor er bei Gericht eingereicht wird.
Nach Einreichung des Zeitplans bei Gericht muss seitens des Klägers innerhalb von weiteren 14 Tagen ein sogenannter „Case Management Summons“ eingereicht werden, in dem vom Kläger weitere Einzelheiten wie zum Beispiel Beweiserhebung, etc. vorgeschlagen werden. Dies wird dann vom Gericht überprüft, bestätigt bzw. abgeändert und anschließend den Parteien zugestellt. Dieser Zeitplan ist verbindlich für den weiteren Verlauf des Prozesses und kann grundsätzlich nur aus wichtigem Grund und auf Antrag einer Partei abgeändert werden.
h) Mediation
Seit 2010 ist es in Hongkong Pflicht, vor einem Gerichtsverfahren ein Mediationsverfahren durchzuführen. Hierzu gibt es zertifizierte Stellen, bei denen neutrale Mediatoren angestellt sind und mit denen die Parteien zusammen treffen, um eine außergerichtliche Einigung zu erzielen. Eine nicht unerhebliche Anzahl von Streitigkeiten kann hierdurch schon beigelegt werden, bevor sich das Gericht mit diesen befasst. Ist eine Einigung nicht möglich, so stellt der Mediator eine Bescheinigung aus, die bei Gericht als Nachweis der gescheiterten Mediation vorzulegen ist.
i) Aufnahme in die Gerichtsliste
Ist die Mediation ergebnislos verlaufen und wurde der „Case Management Summons“ den Parteien zugestellt, so muss als nächstes der Kläger beim Gericht einen Antrag stellen, seine Klage in die Warteliste aufzunehmen. Hierzu ist die komplette Klageschrift nochmals bei Gericht einzureichen. Für Fälle, für die weniger als drei Verhandlungstage angesetzt werden, wird die „Running List“ geführt, für alle anderen umfangreicheren Prozesse wird die „Ficture List“. Bei Letzterer müssen beide Parteien vor einem Mitarbeiter des Gerichts erscheinen, der dann in Abstimmung mit beiden Parteien einen Termin für die mündliche Verhandlung festlegt. Für die Running List ist das Prozedere anders: Für diese wird einseitig vom Gericht ein Verhandlungstermin festgelegt. Wenn sich die Zeit bis zu diesem Termin auf zwei Monate verkürzt hat, wird die Klage in die „Pending List“ aufgenommen. Verkürzt sich die Zeit dann auf eine Woche, so kommt die Klage auf die „Warned List“. Es ist also nötig, dass die Parteien regelmäßig überprüfen, auf welcher Liste ihr Fall gerade ist, um durch eventuelle Terminverschiebungen, die den Parteien nicht mitgeteilt werden, zu verhindern, dass sie den Termin verpassen.
j) Mündliche Verhandlung
Bei der mündlichen Verhandlung tragen die Barrister der beiden Parteien ihre Standpunkte vor und es werden Zeugen und Gutachter berufen und vom Gericht als auch von den Parteien befragt. Hiernach wird vom Gericht das Urteil erlassen. Es ergeht aber in den seltensten Fällen ein Stuhlurteil, normalerweise wird das Urteil binnen einiger Tage nach der letzten Verhandlung zugestellt.
k) Gütliche Einigung
Während der gesamten Verhandlung steht den Parteien die Möglichkeit offen, sich gütlich zu einigen.
Schlägt eine Partei den Antrag der anderen Partei, sich gütlich zu einigen, aus und stellt sich am Ende des Prozesses heraus, dass die ausschlagende Partei im Urteil weniger erhält als sie durch den Vergleich erhalten hätte, so steht ihr keinerlei Anspruch auf Ersatz von Kosten zu. Dies soll die Parteien dazu bringen, sich Vergleichsangebote genau zu überlegen. Sollten sich die Parteien einigen, so muss der Vergleich nicht vom Gericht bestätigt werden. Allerdings wird das Gericht ein formales Schriftstück erstellen, in dem der Vergleich protokolliert ist. Aus diesem Schriftstück kann die Vollstreckung betrieben werden.
5. Dauer
Im Durchschnitt vergehen in Hongkong ca. 2 (!!) Jahre, ehe es zur mündlichen Verhandlung kommt. Die meiste Zeit wird dabei mit Warten auf den Termin zur mündlichen Verhandlung verbracht.
Die offizielle Statistik listet die Dauer (in Tagen) wie folgt.
Ob eine solch lange Wartezeit bis zur mündlichen Verhandlung noch als fair bezeichnet werden kann ist äußerst fraglich, zumindest europäische Gerichte haben in der Vergangenheit des Öfteren entschieden, dass eine zu lange Verfahrensdauer einen Verstoß gegen das Recht auf eine faire Verhandlung darstellt.
Darüber hinaus verursacht solch eine Wartezeit auch erhebliche praktische Probleme, da nach langer Wartezeit Gesellschaften schon liquidiert sein können, Personen Hongkong verlassen haben können, verstorben sein mögen oder sich schlicht nicht mehr erinnern können, was vor zwei Jahren wirklich passiert ist. Bis zu einem finalen Urteil, möglicherweise über mehrere Instanzen, können so bis zu 4 Jahre vergehen, was die Rechtsdurchsetzung erheblich erschwert, wenn nicht sogar unmöglich macht.
6. Kosten
a) Anwaltskosten
Erfolgshonorare für Anwälte sind in Hongkong aus gutem Grund verboten, so dass jede Seite ihre Kosten vorab selbst zu tragen hat.
Es gibt in Hongkong keine gesetzliche Vergütungsregelung für Anwälte, so dass Rechtsanwälte ausschließlich auf Stundenbasis tätig werden. Eine „normale“ Zivilklage kann somit in Hongkong ca. 15.000 – 50.000 Euro kosten, größere Fälle kosten aber leicht Beträge jenseits der 100.000 Euro Schwelle. Zu beachten ist, dass der Gewinner einer Klage auch bei 100%igem Obsiegen nicht seine kompletten Kosten erstattet bekommt, sondern lediglich 60% – 75%. Dies wird damit begründet, dass an einem Streit immer zwei schuld seien, so dass auch der Gewinner seinen Teil zu tragen habe.
b) Gerichtskosten
Die Gerichtskosten sind recht gering und setzen sich wie folgt zusammen:
Darüber hinaus können noch Kosten für Übersetzungen und andere Gebühren hinzukommen, die aber in der Regel überschaubar sind.
II. Vollstreckung
Sollte die unterliegende Partei die Erfüllung des Urteils verweigern, so stehen dem Gewinner folgende Möglichkeiten zu:
- Eidesstattliche Versicherung über die Vermögenslage
- Beschlagnahme des Vermögens
- Abtretung von Forderungen gegen Dritte
- Eintragung einer Hypothek oder eines Pfandrechts
- Antrag, einen Vermögensverwalter einzustellen, der die Schulden des Schuldners ordnet und abwickelt
- Übergabe von Eigentum oder Dokumenten an das Gericht
- Anweisung des Gerichts, dass der Gläubiger befugt ist, eine bestimmte Handlung für den Schuldner vorzunehmen
- Jede andere Möglichkeit, die dem Gericht angemessen erscheint
Die meisten der oben genannte Möglichkeiten werden durch den Gerichtsvollzieher (Bailiff’s Office) durchgeführt, ansonsten ist das Gericht zuständig.
III. Weitere Möglichkeiten zur Streitbeilegung
1. Arbitration
Neben einer Gerichtsverhandlung und der Pflicht zur Mediation besteht die Möglichkeit, sich einer außergerichtlichen Schiedsgerichtsbarkeit zu unterwerfen (Arbitration), was meist durch Parteivereinbarung in dem jeweiligen Vertragsdokument erfolgt. Die Rechtsgrundlage hierzu bildet die Hong Kong Arbitration Ordinance (Cap. 609). Grundsätzlich kann jede Form von Arbitration zwischen den Parteien vereinbart werden, am Gängigsten ist aber die Hong Kong International Arbitration Commission (HKIAC). Für Verträge mit chinesischen Parteien kann alternativ auch die China International Economic and Trade Arbitration Commission (CIETAC) mit Sitz entweder in Schanghai oder Peking vereinbart werden. Ferner steht es den Parteien frei, eine neutrale Schiedsordnung/einen neutralen Ort, zum Beispiel bei der International Chamber of Commerce (ICC) in Paris festzulegen.2. Schlichtungsverfahren
Ein Schlichtungsverfahren bezeichnet den Versuch einer unabhängigen dritten Person, die sich jeweils alleine mit einer der Parteien trifft, den Streit beizulegen. Diese Möglichkeit ist allerdings eher wenig populär, da es keinen Zwang gibt, den Streit zu beenden. Sollten sich die Parteien nicht einigen, so muss trotzdem der ordentliche Rechtsweg eingeschlagen werden.
IV. Zusammenfassung
Wie Sie aus dem Vorangegangenen sehen, können Rechte und Ansprüche in Hongkong auf verschiedene Weise durchgesetzt werden. Den Schwerpunkt des Newsletters bildet die Rechtsverfolgung durch ordentliche Gerichte, da diese Art der Durchsetzung die häufigste Form darstellt. Demgegenüber sollten jedoch alternative Methoden der Streitbeilegung, insbesondere die Mediation und die Schiedsgerichtsbarkeit, vor dem Betreiben eines Rechtsstreits stets berücksichtigt werden, da das Hongkonger Rechtssystem einige schwerwiegende Nachteile aufweist. So ist das Betreiben eines Rechtsstreits regelmäßig erst ab einem Streitwert von 100.000 Euro rentabel. Die wesentlichen Nachteile des Hongkonger Rechtssystems sind:
- Es ist sehr langsam.
- Es ist teuer.
- Die Kosten der obsiegenden Partei werden nicht vollständig durch die andere Partei getragen.
- Das Solicitor / Barrister System führt zu einer erheblichen Doppelarbeit (hohe Kosten) und ist veraltet.
Sollte Hongkong diese Nachteile nicht zeitnah in Griff bekommen, dürfte die Sonderverwaltungszone in naher Zukunft von anderen asiatischen Städten (wie zum Beispiel dem Erzrivalen Singapur) outperformt werden. Denn für die meisten Investoren ist neben einem hervorragenden Finanz- und Wirtschaftsstandort auch ein funktionstüchtiges und vor allem effizientes sowie kostengünstiges Rechtssystem ausschlaggebend. Ferner droht auch mittlerweile Konkurrenz von Seiten der Volksrepublik China. So konnte diese in den letzten Jahren viele Missstände unter anderem durch den Erlass neuer Gesetze und der Einstellung junger und rechtstreuer Richter beheben. Vor diesem Hintergrund erscheint es als nicht unwahrscheinlich, dass viele Investoren zukünftig direkt in China und nicht mehr in Hongkong investieren, wo sie im Vergleich viel höhere Miet- und Lohnkosten und ein veraltetes Rechtssystem erwartet.