Nachstehend soll kurz zusammengefasst werden, wie sich das Rechtssystem in Hong Kong zusammensetzt und warum die Rechtsverfolgung in Hong Kong teurer ist als in Deutschland. Um den Umfang nicht zu sprengen haben wir uns allerdings auf das Zivilrecht beschränkt.
I. Gerichtsaufbau
Der Gerichtsaufbau der Zivilgerichte in Hong Kong ist vierstufig (in Deutschland dreistufig):
1. Small Claims Tribunal
Das Small Claims Tribunal ist die unterste Stufe der Zivilgerichtsbarkeit in Hong Kong. Das Small Claims Tribunal ist mit dem deutschen Amtsgericht vergleichbar und ist zuständig für Klagen, deren Wert 50.000 HKD (ca. 5.000 Euro) nicht übersteigt. Das Verfahren ist informell und die Teilnahme bzw. Vertretung durch Anwälte nicht zugelassen. Dies garantiert eine schnelle und kostengünstige Entscheidung.
2. District Court
Der District Court ist zuständig für Klagen mit einem Streitwert zwischen 50.001 HKD und 1 Million HKD (ca. 5.000 – 100.000 Euro) und ist mit einem Berufsrichter besetzt. Eine Jury in Zivilverfahren (wie z.B. in den USA) kennt das Hong Konger Rechtssystem nicht; Juries gibt es allerdings in Strafverfahren.
3. Court of First Instance
Der Court of First Instance (CFI) ist zuständig für alle Klagen über 1 Million HKD (ca.
100.000 Euro) und ist ebenfalls mit einem Richter besetzt. Das Gericht hat keine Berufungszuständigkeit.
4. Court of Appeal
Der Court of Appeal in Hong Kong ist ein reines Berufungsgericht und hat keine originäre Zuständigkeit. Er ist zuständig für Berufungen vom District Court und vom Court of First Instance, allerdings kann das Ausgangsgericht in bestimmten Situationen die Berufung nicht zulassen. In einem solchen Fall kann dann eine Art „Nichtzulassungsbeschwerde“ zum Court of Appeal erhoben werden, dessen Entscheidung (Zulassung / Nicht-Zulassung der Berufung) dann aber endgültig ist. Der Court of Appeal ist grundsätzlich mit drei Richtern besetzt, kann aber in einfach gelagerten Fällen mit nur zwei Richtern besetzt sein.
5. Court of Final Appeal
Oberstes Gericht ist in Hong Kong der Court of Final Appeal, dem die finale Interpretation und Auslegung von Gerichtsurteilen und Gesetzen zukommt. Interessanterweise steht dem Court of Final Appeal aber nicht die Auslegung über das Hong Konger Grundgesetz (Basic Law = Verfassung) zu; dies ist dem Standing Committee of the National People‘s Congress vorbehalten, einem Unterausschuss der chinesischen Nationalversammlung. Dies trägt der Idee Rechnung, dass die Rechtsauslegung in China nicht Sache der Judikative (wie in anderen Ländern mit funktionierender Gewaltenteilung) ist, sondern Aufgabe der Legislative.
Der Court of Final Appeal besteht aus dem „Chief Justice“, drei permanenten Richtern aus Hong Kong, acht nicht-dauerhaften Richtern aus Hong Kong und neun nicht- dauerhaften Richtern aus anderen Common Law Ländern, wie z.B. England, Australien, Südafrika etc. Der Court of Final Appeal hört Verhandlungen immer unter dem Vorsitz des Chief Justice und den drei dauerhaften Richtern, sowie, sollte der Chief Justice dies anordnen, noch unter Mitwirkung eines nicht-dauerhaften Richters entweder aus Hong Kong oder einem anderen Land mit Common Law.
Vor der Rückgabe Hong Kongs an China am 01. Juli 1997 war eine Berufung zum Judicial Committee of the Privy Council (JCPC) in London möglich, das heute immer noch für viele unabhängige Länder des Commonwealth als oberstes Berufungsgericht dient. Seit der Unabhängigkeit Hong Kongs wurde der Privy Council aber durch den Court of Final Appeal ersetzt.
6. Anwaltspflicht und Gerichtssprache
Vor keinem der Hong Konger Gerichte besteht Anwaltszwang; vor dem Small Claims Tribunal ist die Mitwirkung von Anwälten sogar verboten, um die Kosten nicht in die Höhe zu treiben.
Weiterhin ist neben Chinesisch auch Englisch in Hong Kong offizielle Amtssprache, so dass Gerichtsverhandlungen in beiden Sprachen geführt werden können. Ist eine ausländische Partei am Prozess beteiligt, so wird das Gericht englisch wählen, um Chancengleichheit zu gewähren.
II. Ablauf des Verfahrens
1. Klageeinreichung
Ähnlich wie in Deutschland wird ein Zivilverfahren vor Hong Konger Gerichten durch die Einreichung einer Klage eingeleitet (sog. „writ of summons“). Für diese gibt es einen Vordruck, in den dann Einzelheiten des Klägers, des Beklagten, der geltend gemachte Anspruch (z.B. Anspruch auf Sachmängelgewährleistung) und der Grund für den Anspruch (z.B. mangelhafte Lieferung) genannt werden müssen. Dieser Schriftsatz wird beim Gericht eingereicht, welches den Eingang nach Zahlung einer Gebühr bestätigt.
Im Gegensatz zu Deutschland erfolgt die Zustellung der Klage aber dann nicht durch das Gericht, sondern durch den Kläger selbst, was zu Beweiszwecken am besten per Einschreiben mit Rückschein erfolgt. Innerhalb von 14 Tagen muss dann der Beklagte seine Bereitschaft zur Verteidigung dem Gericht gegenüber anzeigen und nach weiteren 28 Tagen muss dem Gericht vom Beklagten ein Verteidigungsschriftsatz zugehen, in dem der Beklagte dazu Stellung nimmt, wieso der geltend gemachte Anspruch unbegründet ist. Versäumt der Beklagte die Frist, so kann eine Art Versäumnisurteil beantragt werden, das keine volle Verhandlung erfordert.
2. Beweiserhebungsverfahren
Als nächstes erfolgt das Beweiserhebungsverfahren („Discovery“), das anders als in Deutschland nicht vom Gericht ausgeht, sondern von den Parteien selbst. Jede Partei hat hier die Dokumente der anderen Partei zu offenbaren, die von dieser gefordert werden. Hier besteht zum ersten Mal die Möglichkeit, taktisch zu handeln, denn zum einen kann eine Partei behaupten, sie habe bestimmte Dokumente nicht, was sie dann zu beweisen hat, auf der anderen Seite besteht aber die Möglichkeit, der anderen Partei eine Vielzahl von Dokumenten (wovon vielleicht viele gar nicht mit dem Fall zu tun haben) zu übersenden, um so Zeit zu gewinnen und die andere Partei zu überlasten. Allerdings birgt dieser Zeitraum die nicht unerhebliche Gefahr, auch geheime Dokumente offenbaren zu müssen, denn allein der Grund, dass eine Partei ein Dokument für geheim einstuft, reicht offensichtlich nicht, es dem Zugriff der anderen Partei zu entziehen.
3. Verhandlungstermin
Parallel zum Beweiserhebungsverfahren setzt das Gericht den Streitfall auf eine Warteliste, allerdings wird noch kein genauer Termin für die Verhandlung genannt. Vielmehr müssen die Parteien am Beginn jedes Monats überprüfen, ob ihr Fall von der Warteliste auf die „running list“ gesetzt wurde. Dies bedeutet dann, dass der Fall in den nächsten Monaten verhandelt wird, allerdings wiederum ohne genauen Termin. Weiterer Schritt ist, dass der Fall von der „running list“ auf die „warning list“ gehoben wird, so dass die Parteien jeden Mittwoch die „warning list“ überprüfen müssen, was bedeutet, dass der Fall in den nächsten 7 Tagen aufgerufen werden soll. Danach müssen die Parteien täglich (!!) überprüfen, ob ihr Fall am jetzigen Tag zur Verhandlung ansteht.
Sollen vor Gericht Zeugen gehört werden, so muss dies dem Gericht davor mitgeteilt werden; allerdings ist die jeweilige Partei dafür verantwortlich, dass ihr Zeuge auch erscheint.
4. Friedliche Streitbeilegung
Seit 2010 muss spätestens während der mündlichen Verhandlung zwischen den Parteien versucht werden, den Streit friedlich durch einen Vergleich beizulegen. Hierzu wurde eine Ausführungsrichtlinie (Practice Direction (OD) 31) erlassen, die zum 01. Januar 2010 in Kraft trat und sich an das Gericht, Rechtsanwälte und die Parteien richtet. Nach dieser müssen die Anwälte ihre Parteien auf die Möglichkeit einer friedlichen Streitbeilegung hinweisen und deren Vorzüge aufweisen. Eine der Parteien muss dann vor oder während der mündlichen Verhandlung der anderen Partei ein Vergleichsangebot machen, auf das die andere Partei innerhalb von 14 Tagen antworten muss und angeben muss, ob sie mit diesem Angebot einverstanden ist oder nicht. Lässt sich eine Partei nicht auf Vergleichsverhandlungen ein, so ist das Gericht angehalten, auf Vergleichsverhandlungen zu drängen, weiterhin kann das Gericht in seiner späteren Kostenentscheidung mitberücksichtigen, ob sich eine Partei grundlos den Verhandlungen verschlossen hat und somit das streitige Urteil zumindest mit ausgelöst hat.
Können sich die Parteien nicht auf einen Vergleich einigen, oder ist eine Partei mit den Vergleichsverhandlungen nicht einverstanden, so kann ein Antrag an das Gericht gestellt werden, dass weiter streitig verhandelt wird. Wichtig ist aber für die Parteien, dass diese dem Gericht gegenüber dokumentieren, dass ernsthafte Vergleichsverhandlungen geführt wurden (dies geschieht durch einen Vordruck), da dies sich ansonsten negativ auf die Kostenentscheidung auswirken kann.
5. Mündliche Verhandlung
Erscheint eine Partei nicht zur mündlichen Verhandlung, so kann das Gericht auf Antrag der anderen Partei ein Versäumnisurteil erlassen.
Nach Anhörung aller Parteien und der Zeugen, die das Gericht für notwendig erachtet, kann das Gericht den Prozess entweder auf einen späteren Termin vertagen oder die Verhandlung für geschlossen erklären. In diesem Fall kann das Gericht entweder sofort ein Urteil erlassen („Stuhlurteil“) oder das Urteil zu einem späteren Termin verkünden.
6. Vollstreckung
Ein Urteil kann vollstreckt werden, soweit die unterliegende Partei dem Urteil nicht nachkommt. Hierzu muss beim zuständigen Gericht ein Antrag auf Vollstreckung gestellt werden, woraufhin der Gerichtsvollzieher dann in das Vermögen der unterliegenden Partei vollstrecken wird.
7. Dauer
Nach eigener Auskunft des Court of First Instance soll es 180 Tage dauern, bis ein Fall von der Warteliste auf die „running list“ gelangt. Von dort soll es nochmals 90 Tage dauern, bis der Fall auf die „warning list“ gelangt, so dass selbst nach den Vorgaben des Gerichtes 9 Monate vergehen, bis ein Termin zur Verhandlung in die Nähe rückt. Da dies Soll-Vorgaben sind, ist es unschwer vorzustellen, dass die tatsächlichen Wartezeiten noch erheblich länger sein können; nach unseren Erfahrungen sind Wartezeiten bis zu 1 1/2 Jahren nicht ungewöhnlich. Da während der gesamten Zeit zwischen den Parteien Schriftsätze ausgetauscht werden können (und dies in der Regel auch geschieht) sind die hierbei für Rechtsanwälte zu zahlenden Kosten nicht unerheblich.
III. Rechtliche Vertretung
Wie bereits beschrieben, besteht vor keinem Hong Konger Gericht Anwaltszwang. Allerdings ist es sehr ratsam, sich eines Rechtsbeistandes zu bedienen, da das Verfahren weitaus mehr als in Deutschland formalisiert ist und mit einer Vielzahl von Vordrucken und Formularen umgegangen werden muss. Ein falsch ausgefülltes Formular kann als nicht eingereicht und damit als Fristversäumnis gelten, mit der Folge dass man sich eventuell Verteidigungsmittel abschneidet oder die Gegenpartei gar ein Versäumnisurteil erwirken kann.
Da das Hong Konger Rechtssystem auf dem britischen System aufbaut und von dort übernommen wurde, gibt es in Hong Kong traditionsgemäß die Unterscheidung zwischen Solicitors und Barristers.
1. Barrister
Die rechtliche Vertretung einer Partei vor Gericht in Hong Kong wird von einem Barrister durchgeführt. Diesem ist es nach Hong Konger Standesrecht nicht erlaubt, direkt mit der Partei in Verbindung zu treten; er darf ausschließlich mit dem Solicitor (der die Partei vertritt) kommunizieren. Hintergrund ist, dass der Barrister eine neutrale Person sein soll, die den Fall und die Rechtslage beurteilt ohne die Partei zu kennen und so ausschliesslich anhand des Gesetzes urteilt.
Es gibt in Hong Kong zurzeit ca. 1.300 Barrister, was im Vergleich zu der Anzahl der Solicitor (über 7.800) relativ gering ist.
Zum Vergleich: In Hong Kong kommen auf 8 Millionen Einwohner ca. 9.100 Anwälte, in Berlin kommen auf 3,5 Millionen Einwohner ca. 13.700 Anwälte.
2. Solicitors
Einem Solicitor ist es grundsätzlich nicht erlaubt, vor Gericht im Namen einer Partei aufzutreten; der Solicitor ist die Kontaktperson und erste Anlaufstelle für einen Rechtssuchenden. Er wird diesen anhand des Gesetzes und der konkreten Lage beraten und eventuell einen Gang vor Gericht vorschlagen. Der Solicitor hat weiterhin die Aufgabe, das Verfahren vorzubereiten, Schriftsätze zu verfassen, die Beweisaufnahme zu leiten, Zeugen zu suchen, mit dem Gericht zu kommunizieren etc. Ausserdem ist der Solicitor der Schnittpunkt zwischen Partei und Barrister. Bevor die Gerichtsverhandlung ansteht, wird der Solicitor im Namen der Partei einen Barrister beauftragen und mit diesem den Fall durchsprechen und den Barrister instruieren. Anhand dieser Informationen wird der Barrister dann den Fall vorbringen und vor Gericht auftreten.
3. Nachteile
Da der Barrister auch der Partei zugerechnet wird, hat die Partei neben den Kosten für den Solicitor auch für die Kosten des Barrister einzustehen. Da es relativ wenige Barrister in Hong Kong gibt, bewegen sich die Stundensätze von diesen bei ca. 500 Euro aufwärts. Für sehr erfahrene Barrister, die früher einmal hohe Posten im Justizministerium hatten und sich dann selbstständig machten, sind Stundensätze von 800 – 1.000 Euro keine Seltenheit.
Damit läuft eine Partei Gefahr, im Falle des Unterliegens die Kosten für vier Anwälte zu tragen: eigener Solicitor und Barrister und Solicitor und Barrister der Gegenpartei.
IV. Kostenerstattung
Wie gesehen, kann sich eine rechtliche Auseinandersetzung in Hong Kong erheblich in die Länge ziehen und erhebliche Kosten verursachen.
Grundsätzlich gilt auch in Hong Kong die Kostentragungsregel, dass die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat. Es kommt allerdings selten vor, dass der Richter der unterliegenden Partei die volle Kostentragung auferlegt; sehr häufig wird einen Teil der Kosten auch die Partei zu tragen haben, die obsiegt. Dies wird damit begründet, dass an einem Streit immer zwei schuld sein müssten, so dass es gerecht und fair sei, auch der obsiegenden Partei einen Teil der Kosten aufzuerlegen.
Dies bringt aber die Gefahr mit sich, dass Personen, die über genügend finanzielle Mittel verfügen, anderen Personen einen Rechtsstreit aufzwingen können und die Beklagten damit rechnen müssen, auch im Falle des Obsiegens einen Teil der Streitkosten tragen zu müssen (ohne an dem Streit irgendeine Schuld zu haben), was schnell in den Bereich von 10.000 Euro oder mehr gehen kann. Weiterhin ist eine Begrenzung der erstattungsfähigen Kosten (wie in Deutschland auf die Höhe der gesetzlichen Gebühren) in Hong Kong nicht vorgesehen, so dass es jeder Seite freisteht einen sehr teuren Anwalt zu beauftragen und die Kosten für diesen eventuell von der anderen Partei ersetzt zu bekommen. Allerdings kann das Gericht die erstattungsfähigen Kosten auf den dem Gericht angemessenen Stundensatz beschränken.
V. Zusammenfassung
Das Hong Konger Gerichtssystem gilt, im Gegensatz zu anderen Gerichtsystemen in der Region, als durchaus zuverlässig und an Recht und Gesetz gebunden. Allerdings beherbergt es auch eine Anzahl von Nachteilen, die erst auf den zweiten Blick auffallen:
- Das Gerichtssystem ist recht langsam.
- Das Beweisverfahren kann zu Problemen bei vertraulichen Dokumenten führen.
- Starke Förmelei
- Unterscheidung Solicitor/ Barrister → doppelte Kosten
- Unfaire Kostentragungsregel
- Keine Obergrenze für Anwaltskosten
Aus diesem Grund ist ein Gang vor Hong Konger Gerichte nicht zu empfehlen, solange der Anspruch nicht einen bestimmten Wert erreicht (ab ca. 100.000—Euro), da davor die Kosten überwiegen. Alternativen sind die Streitbeilegung zwischen den Parteien oder die Vereinbarung eines Schiedsgerichts im Falle von Meinungsverschiedenheiten.
Ein Schiedsverfahren mag zwar auf den ersten Blick etwas teurer erscheinen, birgt aber nicht zu vernachlässigende Vorteile: Es geht schneller, die Richter können von den Parteien selbst ausgewählt werden, die Verhandlung ist geheim, etc. Auch hier bietet Hong Kong mit dem Hong Kong International Arbitration Center (HKIAC) eine international anerkannte Anlaufstelle, die für die professionellen Streitschlichter bekannt ist. Allerdings sollte eine Schiedsgerichtsklausel schon vor Beginn der Streitigkeiten vereinbart werden, am besten schon bei Abschluss des Vertrages, da sich die Parteien nach Beginn der Auseinandersetzung erfahrungs-gemäß nicht mehr einigen können.