I. Grundsatz
Die OECD (Organisation for Economic Cooperation and Development, gegründet am 30. September 1961 in Paris) hat erreicht, dass alle wirtschaftlich bedeutenden Länder, insbesondere alle europäischen Länder und auch Japan, Südkorea, Australien, die USA, aber de facto auch China (als eines der 147 Mitglieder des OECD Forums: Inclusive Framework on Base Erosion and Profit Shifting („BEPS“)) sich größtenteils und weitgehend an die erarbeiteten OECD-Grundsätze halten und dabei einzelne Begehrlichkeiten der Länder ausgeblendet werden. Base Erosion and Profit Shifting (BEPS) ist der bedeutendste Aktionsplan der OECD, welcher zum Ziel hat, die Ausnutzung von bestehenden Besteuerungsinkongruenzen und -lücken, insbesondere durch multinationale Unternehmen, zu unterbinden. Dadurch sollen Steuermehreinnahmen erzielt und Wettbewerbsverzerrungen unterbunden werden.
Zentrales Ergebnis des BEPS-Projektes ist ein im Jahr 2015 veröffentlichter Aktionsplan, welcher aus diversen konkreten Einzelmaßnahmen besteht. Ergänzt wurde der Aktionsplan mittlerweile insbesondere durch die sog. „Zwei-Säulen-Lösung“ („Pillar I + II“).
Unter anderem sieht der in 2015 veröffentlichte Aktionsplan vor, dass zur Vermeidung von Steuerumgehung und -vermeidung das Steuersubstrat angemessen zwischen den beteiligten Jurisdiktionen aufgeteilt werden soll. Ziel ist, dass überhaupt eine Besteuerung stattfindet und diese fair und zutreffend erfolgt.
Die zugrundeliegende Idee ist schlicht:
In dem Land, wo die Grundlagen für den Gewinn des Unternehmens liegen, soll auch die Besteuerung erfolgen. Unabhängig von der juristischen Konstruktion und der rechtlichen Ansässigkeit des Unternehmens gilt die alte Formel: Substance over form.
Die Besteuerung soll an den jeweiligen Orten der tatsächlichen Wertschöpfung stattfinden und dementsprechend unter den jeweiligen Staaten aufgeteilt werden.
Zuletzt ist anzumerken, dass sich mit Säule 1 (Pillar 1) des Zweisäulenprojektes bereits eine umfangreiche neue Regelungssystematik hinsichtlich der Verteilung von (nicht nur digitalem) Steuersubstrat von großen multinationalen Konzernen zwischen den Jurisdiktionen abzeichnet. Wegen politischer Differenzen (insbesondere zu den USA) befindet sich dieses Projekt derzeit noch in der Umsetzung. Insoweit bleibt also abzuwarten, wie sich die Regelungen zur Verteilung von Besteuerungssubstrat zukünftig weiter entwickeln werden.
II. Gesetzliche Grundlagen für die wertschöpfungsorientierte Gewinn- und Steueraufteilung
Die bestehende internationale Besteuerungsordnung war in der Vergangenheit nicht sonderlich darauf ausgerichtet, wo die Wertschöpfung stattfindet, sondern bezog bzw. bezieht sich größtenteils auf den Sitz/der Ansässigkeit des Steuerpflichtigen. Dies wird sich aber in Zukunft durch die Umsetzung der BEPS-Prinzipien, sowohl in Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) als auch in nationalen Gesetzen, grundlegend ändern. Im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung geht es insbesondere darum, dem Quellenstaat der Wertschöpfung ein Besteuerungsrecht einzuräumen.
Aktionspunkt 15 des BEPS-Aktionsplans sieht ein multilaterales Instrument zur Anpassung von Doppelbesteuerungsabkommen vor, um die mit dem BEPS-Projekt bezweckten Ziele in effizienter Weise (ohne Neuverhandlung jedes einzelnen DBA) zu erreichen.
Daraufhin haben die Finanzminister von über 60 Staaten am 7. Juni 2017 in Paris das multilaterale Übereinkommen zur Umsetzung von Maßnahmen gegen globale Gewinnverkürzungen und -verlagerungen unterzeichnet. Das sogenannte MLI („Multilateral Instrument“, grds. in Kraft seit 1. Juli 2018) und der am 11. Juli 2017 vorgelegte Entwurf zur Überarbeitung des OECD-Musterabkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (OECD-MA) sollen die Grundlage zur Sicherstellung einer gleichmäßigen und zutreffenden Besteuerung innerhalb der OECD-Staaten sein.
Auch Deutschland hat das MLI am 7. Juni 2017 unterzeichnet. Obwohl das MLI bereits ratifiziert wurde und seit dem 1.4.2021 für Deutschland in Kraft ist, war die Anwendung wegen eines speziellen Vorbehalts Deutschlands (s. Art. 35 Abs. 7 BEPS-MLI) vorerst gesperrt. Erforderlich ist aufgrund des Vorbehaltes in einem zweiten Schritt ein konkretes Anwendungsgesetz. Ein solches ist in Form des sog. BEPS-MLI-Anwendungsgesetzes (BGBl. I 2024, Nr. 205 v. 21.06.2024) erst am 22.06.2024 in Kraft getreten. Zu beachten ist allerdings, dass die enthaltenen Regelungen nur hinsichtlich der DBA der 9 im Gesetz genannten Staaten Anwendung finden (Frankreich, Griechenland, Japan, Kroatien, Malta, Slowakei, Spanien, Tschechien und Ungarn).
Folglich ist das MLI auf alle anderen deutschen DBA auch derzeit weiterhin nicht anwendbar.
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MLI
Beim MLI handelt es sich um einen multilateralen völkerrechtlichen Vertrag, wodurch der BEPS-Mindeststandard schnell und international einheitlich in allen DBA umgesetzt wird, ohne dass die einzelnen bilateralen Verträge zwischen Staaten neu verhandelt werden müssen. Es findet also eine automatische Anpassung der jeweiligen DBA statt, ohne dass ein neuer Staats-Vertrag unterzeichnet und ratifiziert werden muss.
Das MLI enthält einen Mustertext zur Anpassung bestehender DBA und sieht neben Auswahlmöglichkeiten bei optionalen und alternativen Regelungen (Optionen und Vorbehalte) die verpflichtende Umsetzung des BEPS-Mindeststandards vor. Eine Modifikation der einzelnen bilateralen DBA ist aber nur in jenen Punkten möglich, in denen die Vorbehalte und Notifikationen des einen DBA-Staats hinsichtlich einer MLI-Bestimmung mit jenen des anderen DBA-Partners übereinstimmen.
Die Anwendung der verschiedenen DBA wird damit immer unübersichtlicher und komplizierter, denn das MLI beeinflusst ca. 1.100 DBA weltweit mit einem Schlag. Es hat zur Folge, dass nunmehr nicht nur der Text des jeweiligen DBA maßgeblich ist – vielmehr muss geprüft werden, ob nicht eine Klausel des MLI Anwendung findet, vorausgesetzt beide Staaten stimmen der jeweiligen Änderung durch das MLI zu und es liegen keine Vorbehalte vor. Beispielsweise werden so Art. 10 Abs. 2 sowie Art. 13 Abs. 4 des neuen DBA China-Deutschland durch die Vorschriften des Art. 8 bzw. 9 MLI modifiziert und deshalb findet in diesen Punkten der Originalwortlaut aus dem DBA China-Deutschland 2017 keine Anwendung mehr. Damit könnte das DBA China-Deutschland sozusagen nach nur wenigen Jahren seit seinem Inkrafttreten in diesen Punkten schon nicht mehr aktuell sein.
Den Überblick über die verschiedenen Notifikationen der Staaten in den 1.100 betroffenen DBA zu behalten ist nicht einfach und erfordert zukünftig eine genaue Analyse.
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Das neue OECD-Musterabkommen 2017
Der Gedanke der Besteuerung am Ort der Wertschöpfung wird auch im neuen OECD-MA aufgenommen. Die bisherige Fassung des Art. 5 Abs. 4 klassifizierte Logistikzentren und Warenlager lediglich als Hilfs- und Nebentätigkeiten, die zur Begründung einer Betriebsstätte und damit zur Zuweisung eines Besteuerungsrechts nicht ausreichen.
Die neue Fassung dieses Artikels soll zukünftig die tatsächliche Wertschöpfungsstruktur des Unternehmens in den Fokus rücken, so dass die Nutzung von Warenlagern und die dadurch erreichte Wertschöpfung auch in dem Staat der Besteuerung unterworfen werden kann, in dem sich das Warenlager räumlich befindet.
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Nationale Gesetzgebung
Die Grundsätze zur Betriebsstättengewinnaufteilung (siehe dazu in Deutschland die Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung, „BsGaV“ vom 13. Oktober 2014) regeln die Abgrenzung der Einkünfte zwischen Stammhaus und Betriebsstätte und bilden damit die Wertschöpfungsverteilung zwischen den beteiligten Staaten ab. Nach Maßgabe des Authorised OECD Approach (AOA) ist die Betriebsstätte für Zwecke der Gewinnabgrenzung per Fiktion als eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu betrachten.
Um die Wertschöpfung und damit die Besteuerung den verschiedenen Unternehmensteilen auch grenzüberschreitend adäquat zuordnen zu können, bedarf es zudem stets eines Mindestmaßes messbarer Präsenz an einem Standort. In Bezug auf Betriebsstätten knüpft die OECD zu diesem Zweck an die sog. significant people functions (SPF) an. Dieser Grundsatz ist in Deutschland durch § 1 Abs. 5 S. 3 Nr. 1 Außensteuergesetz (AStG) vom 13. September 1972 (zuletzt geändert am 27. März 2024) gesetzlich verankert. Dabei wird die Verteilung der einzelnen Wertschöpfungsbeiträge zwischen Stammhaus und Betriebsstätte(n) in Abhängigkeit von der „aktiven Entscheidungsgewalt und Managementfunktion von Entscheidungsträgern“ (significant people) vorgenommen.
Des Weiteren wird die Wirtschafts-Identifikationsnummer (W-IdNr.) eingeführt, die ab Herbst 2024 vergeben wird und eine eindeutige Identifizierung in Besteuerungsverfahren ermöglicht. Sie dient dazu, jede wirtschaftlich tätige natürliche Person, jede juristische Person und jede Personenvereinigung eindeutig zu identifizieren. Die W-IdNr. besteht aus dem Kürzel „DE“ und neun Ziffern, ergänzt durch ein fünfstelliges Unterscheidungsmerkmal für einzelne Tätigkeiten, Betriebe oder Betriebsstätten.
Die Personalfunktion dient somit als Anknüpfungspunkt für die Zuordnung verschiedener Werte und damit verbundener Betriebseinnahmen und -ausgaben zu den unterschiedlichen Unternehmensteilen wie Stammhaus und Betriebsstätte.
III. Umsetzung in der Praxis und Risiken
Nunmehr muss das Geschäftsmodell sehr kritisch geprüft werden, da mittelfristig davon auszugehen ist, dass Steuern immer dort zu zahlen sind, wo nicht völlig unwesentliche Geschäftsaktivitäten stattfinden oder Teile der Wertschöpfung kreiert werden (where economic activities take place and value is created). Dies bedeutet beispielsweise, dass Entscheidungsträger vor Ort Verträge besprechen, verhandeln oder auch verantwortlich umsetzen.
Im Bereich der Produktion ist es jedoch gelegentlich fraglich, wo die tatsächliche Wertschöpfung in der Wertschöpfungskette erfolgt und in welcher Höhe sie stattfindet, z. B.
- in der grundsätzlichen Vor-Planung
- Forschung & Entwicklung (F&E)
- Marketing
- Produktion, auch die Produktion von Vorprodukten
- Vertrieb
- Finanzierung
Die Aufteilung des Gesamt-Rohgewinnes auf die einzelnen Aktivitäten kann sehr komplex und kontrovers sein. Wenn Sie beispielsweise Forschungs- & Entwicklungsleistungen in einem Land erbracht werden, könnten die Finanzämter dieses Landes davon ausgehen, dass ein Großteil der daraus resultierenden Gewinne komplett in diesem Land zu besteuern sind, da das Produkt ohne die Entwicklungstätigkeit nie produziert worden wäre. Andererseits kann auch das Land, in dem tatsächlich produziert wird davon ausgehen, dass ein Großteil des Gesamtgewinnes dort in diesem Land steuerpflichtig ist. Die genaue Aufteilung der einzelnen Schritte auf die verschiedenen Unternehmensteile und Länder kann höchst kompliziert sein und erfordert eine genaue Dokumentation der gesamten Supply und Value Chain. Ein Beispiel für eine solche Wertschöpfungszuordnung finden Sie auf Seite 6 (diese ist angelehnt an die Profit Split Method der OECD).
Die Cost-Plus-Methode ist nur eine von vielen, aber keineswegs immer die richtige Methode. Einen Überblick über die verschiedenen Methoden bieten die offiziellen Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises and Tax Administrations 2022 der OECD,
siehe http://surl.li/xfammv (zuletzt abgerufen am: 30. Juli 2024).
Es kann insbesondere nicht korrekt sein, wenn bei einem multinationalen Konzern die Wertschöpfung zu 80 % im Tochterunternehmen in Land A erfolgt, dies aber lediglich durch eine vertragliche Cost-Plus-Regelung von 6 % mit der Muttergesellschaft in Land B gewürdigt wird, wo letztlich die Besteuerung stattfindet.
In den nächsten zwei bis drei Jahren müssen Sie also damit rechnen, dass hier intensive Fragen seitens der Behörden kommen werden, insbesondere auch in China, Thailand und Vietnam.
Im Zweifel wird eine sehr großzügige Schätzung durch die Finanzbehörden der jeweiligen Länder vorgenommen. Solange bis vor Ort keine Einigkeit erzielt wird, darf ggf. die Geschäftsleitung nicht ausreisen oder Waren werden nicht mehr aus dem Land gelassen. Es ist also nicht auszuschließen, dass in Ländern wie Vietnam, China, aber auch gegebenenfalls Indonesien und Thailand die Behörden die Auffassung vertreten, dass in den letzten Jahren lokal nicht der richtige Ansatz gewählt wurde und von der gesamten Wertschöpfung ein zu geringer Teil lokal versteuert wurde, mit ggf. weitreichenden Folgen.
Die Angelegenheit ist komplex, weil Sie möglicherweise Ihre rechtlichen Strukturen ändern müssen. Auf der anderen Seite meinen wir, dass es erheblich günstiger ist, im Vorfeld proaktiv tätig zu werden, anstatt zu warten, bis sich das Problem zeigt, denn es ist dann sehr schwierig im Nachhinein zu reagieren und Schaden vom Unternehmen abzuwenden.
Insbesondere müssen Sie bedenken, die rechtlichen Strukturen, wie
- Lizenzverträge,
- Mitarbeiterentsendungsverträge,
- Kostenaufschlagsrechnungen,
- Abgrenzungen,
- Betriebsstättengewinn,
- Aufteilungsschlüssel für z. B. Kosten und Gewinn
stets aktuell zu halten und zu überarbeiten.
Eine Umstrukturierung und Anpassung ist nicht kurzfristig umzusetzen, sondern Sie sollten zunächst Ihr Geschäftsmodell auf die neuen erheblichen steuerlichen Risiken hin überprüfen lassen. Nachdem Sie Ihre Strategie für die Zukunft optimiert haben, können wir gemeinsam untersuchen, wie diese in den einzelnen Ländern umgesetzt werden kann. So können wir das maximale Risiko eindämmen und rechtliche Konsequenzen besser abschätzen.